Laufen als Lebensstil

Körperliche Praxis nach dem Boom

Als Bill Bowerman 1967 ein Buch mit dem Titel „Jogging“ veröffentlichte, gab er einer körperlichen Praxis den Namen, die fast synchron mit dem Ende des sogenannten Booms entstand und seit den 1970er Jahren millionenfach ausgeübt wurde. Sei es, dass einzelne Läufer sich auf ausgewiesenen Pfaden im Wald trimmten oder bei Massenlaufveranstaltungen, etwa in Berlin oder Boston, um persönliche Bestzeiten kämpften, der Dauerlauf versetzte vor allem Angehörige der „Mittelschicht“ in Bewegung. Aus historischer Perspektive dient die Analyse des Joggings als Sonde dafür, wie soziale und kulturelle Leitvorstellungen und Handlungen sich nach 1970er körperlich artikulierten und welchen Veränderungen sie unterlagen. Folgende Fragen leiten das Projekt:

Unter welchen konsumtiven Bedingungen fand der Breitensport Dauerlauf statt: Handelten die Akteure als „brave Bürger“ der Konsumgesellschaft oder verhielten sie sich eigensinnig?
Wie veränderte sich der moderne Körper, die „reizbare Maschine“ unter den Bedingungen von Emanzipation, New Age und humanistischer Psychologie? Unterzog er sich einer fortdauerenden Therapie oder agierte er als unternehmerisches Selbst in präventiver „Sorge um sich“.
Inwiefern war der Körper der Ort paradoxer politischer und körperlicher Auseinandersetzungen zwischen Wehrhaftigkeit und Friedensbewegung, zwischen Fitness und Wellness?
Die Untersuchung erfolgt unter komparativen Bedingungen. Ein einschließender Vergleich der Bundesrepublik mit den USA zeigt vor allem Ähnlichkeiten auf, die zeigen, dass nicht nur „Malaise“ und „Risiko“ die 1970er und 1980er prägten, sondern dass die Zeit nach dem Boom eine Zeit des sportlichen Aufbruchs gewesen ist.