Parteiwandel vor Ort: Die Enttraditionalisierung der britischen und deutschen Sozialdemokratie aus mikrohistorischer Perspektive (Teiluntersuchung 2)

Das Forschungsprojekt „Parteiwandel vor Ort“ ist in zwei Teiluntersuchungen gegliedert, in der zweiten Untersuchung arbeitet Marc Meyer zu „,Rotes Hessen‘ ade!. Die politische Mobilisierungsarbeit der SPD in Kassel und Frankfurt am Main.

Die zentrale Fragestellung des Promotionsvorhabens lautet: Wie veränderte sich die politische Mobilisierungsarbeit der SPD in Kassel und Frankfurt am Main in den 1980er und 1990er Jahren im Kontext einer wachsenden sozialen Ungleichheit und sich verändernder Formen der politischen Partizipation?

Die vielfältigen Strukturbrüche „nach dem Boom“ lassen sich insbesondere in Kassel und Frankfurt wie in einem Brennglas beobachten. Die wirtschaftlichen Veränderungen führten dazu, dass sich die traditionelle Industriearbeiterschaft zunehmend den Gefahren von drohender Arbeitslosigkeit und Armut gegenüber sah. Gleichzeitig bot der Dienstleistungssektor, selbst in einem wachsenden Dienstleistungszentrum wie Frankfurt, kaum Zukunftsperspektiven für die traditionelle Industriearbeiterschaft, da es dieser an Qualifikationen fehlte und die verfügbaren Jobs in ihrer Anzahl zu gering sowie durch atypische Beschäftigungsverhältnisse gekennzeichnet waren. Auf der anderen Seite profitierten aber auch zahlreiche Bürger von den Perspektiven, die der tertiäre Sektor schuf. Damit kristallisierten sich auch unterschiedliche Gruppen und deren Themen in der potentiellen Wählerschaft für die SPD heraus. So trat beispielsweise die Beibehaltung einer traditionellen und auf Wachstum zielenden Wirtschaftspolitik zunehmend in Konflikt mit Forderungen nach einer ökologisch nachhaltigen Politik. Damit stand auch die SPD in Kassel und Frankfurt zunehmend vor der Herausforderung, einen programmatischen Spagat zu vollziehen, um die unterschiedlichen potentiellen Wählergruppen politisch integrieren zu können. Dies führte letztlich mitunter dazu, dass sich die traditionelle Arbeiterschaft immer weniger durch „ihre Partei“ vertreten sah und sich in der Konsequenz aus der politischen Partizipation zurückzog oder sich populistischen Alternativen zuwendete. Es geht demnach darum zu untersuchen, wie die konkreten Zusammenhänge von wachsender sozialer Ungleichheit und Partizipationsverlust in den genannten lokalen Kontexten zu verstehen sind und wie die SPD in ihrer Mobilisierungsarbeit darauf reagierte.

„Rotes Hessen“ ade! The political mobilization activities of the SPD (German Social Democratic Party) in Kassel and Frankfurt am Main

The core issue of the present dissertation project is: How did the SPD change their political mobilization activities in the cities of Kassel and Frankfurt am Main throughout the 1980s and 1990s in the light of increasing social inequality and changing forms of political participation? Particularly in Kassel and Frankfurt, the manifold structural changes „after the boom“ can be observed like in a magnifying glass. The economic changes led to the traditional working class increasingly facing the risks of unemployment and poverty. At the same time, even in Frankfurt, a city with a booming services industry, the tertiary sector hardly offered any future prospects to the traditional industrial workforce due to their lack of skills and the small number of available jobs that were also characterized by atypical employment relations. On the other hand, however, numerous citizens did benefit from the prospects created by the tertiary sector. This resulted in the establishment of different groups and their topics among the potential SPD voters. Further pursuing a traditional and growth-oriented economic policy, for instance, was increasingly conflicting with demands for ecologically sustainable politics. Thus, the SPD in the cities of Kassel and Frankfurt was more and more faced with the challenge of managing a programmatic balancing act, in order to politically integrate the different potential groups of voters. This was one of the reasons of the traditional working class feeling less and less represented by “their party”, which subsequently motivated them to stop political participation or turn towards populist alternatives. The aim is thus to study how the specific connections between increasing social inequality and loss of political participation in the specified local contexts are to be interpreted, and how the SPD reacted to that in terms of mobilization efforts.